Freitag, 11. März 2011

Deutschunterricht

Wenn mich jemand fragt, was mir zum Deutschunterricht einfällt, den ich als Kind und Jugendliche genossen habe, dann fallen mir spontan zwei Wörter ein: "Arschlöcher" und "Dreck". Schlimm, nicht wahr? Ich bin nämlich kein sechzehnjähriger Schulabbrecher mit Migrationshintergrund, sondern eine achtundvierzigjährige Akademikerin. Alles, was ich im Deutschunterricht gelernt habe, habe ich schon in der Grundschule bei Herrn Hucke gelernt: Lesen, Schreiben, ein Aufsatz besteht aus Einleitung, Hauptteil und Schluss, Hauptwort, Tuwort, Wiewort. Einmal durfte jeder von uns eine Ansichtskarte schreiben und wir haben gelernt, wo die Adresse hinkommt und wie man den Text formuliert. Das muss in der zweiten Klasse gewesen sein. Das war toll, daran kann ich mich heute noch erinnern.
In den neun Jahren im Gymnasium kam dann nicht mehr viel dazu. Die ersten Jahre waren besonders schlimm, da wollte ich nämlich gut sein und habe mich angestrengt, trotzdem kam ich nie über eine Drei hinaus. Das war frustrierend. Aus dieser Zeit ist mir nur noch der Satz "Ein Hearing ist kein Hering" in Erinnerung, über den ich lange nachdachte (aus einem Schulbuch für bayerische Gymnasien). Ich wusste nicht, was ein Hearing ist. Es hat sich auch im Laufe des Unterrichts nicht aufgeklärt. Bei mir zu Hause wusste es keiner.
Aus dem Unterricht bei Frau Toth sind mir noch ihr fürchterliches Make-Up, ihre auf die Stirn gemalten Augenbrauen und das Wort "jambisch", das irgendwas mit Versen zu tun hat, in Erinnerung. Ich finde das Wort "jambisch" wunderschön, aber in dreißig Jahren ist es mir nicht gelungen, es in ein Gespräch einzuflechten.
Dann kam ein schleimiger Lehrer mit Bart, der immer auf der Kante seines Pults saß und breit grinste. Aus seinem Unterricht kann ich mich an nichts erinnern, auch nicht an seinen Namen. In einem Schuljahr hatten wir eine Lehrerin mit einem französischen Doppelnamen. Sie war ein extremer Kotzbrocken und kleidete sich im Stil der Fünfziger-/Sechzigerjahre. Nachdem ich mich einmal sehr bemüht hatte und einen meiner Meinung nach ganz tollen Aufsatz geschrieben hatte, auf den ich "Thema verfehlt" bekam, gab ich alle weitere Bemühungen auf. Für eine Drei reichte es immer. Die weiteren Jahre Deutschunterricht rauschten dann an mir vorbei. Ich erinnere mich, dass wir "Maria Stuart" gelesen haben und irgendwas von Dürenmatt. Textinterpretationen waren mir verhasst und davon gab es reichlich. Was will uns der Autor damit sagen, lautete die Frage. Ich dachte mir immer, lass doch den Text einfach so stehen, wie er ist, jeder denkt sich selber, was er möchte oder er denkt sich gar nichts. Nein, das durfte nicht sein. Alles musste ausgequetscht und zu Tode interpretiert werden. Wenn mir ein Text gefiel, konnte ich sicher sein, dass ich überhaupt keine Freude mehr daran hatte, wenn er erst einmal durch die Deutschlehrermühlen gedreht worden war. Und alle spielten bei diesem Spiel mit. Gerade die Gescheitesten in der Klasse taten sich bei diesem Mist diesen Übungen besonders hervor.
Nachspiel: Als ich Jahre später in Spanien studierte, wurde das berühmte Gedicht “Se equivocó la paloma” von Rafael Alberti behandelt (deutsch unter anderem als “Getäuscht hat sich die Taube” übersetzt. Ihr könnt es googeln, es ist ein schönes Gedicht, es lohnt sich. Man kann es sich auch auf Youtube von Ana Belén oder Joan Manuel Serrat (beide superberühmt) vorsingen lassen). Wie dem auch sei, ich wurde wieder einmal Opfer einer Textinterpretationssitzung. Das Gedicht bezieht sich auf den spanischen Bürgerkrieg, wurde als Vermutung geäußert, auf Albertis Exil, auf unerfüllte Liebe. Deutsche hätten sicher, wie damals üblich, auf den Holocaust getippt. Aber mir reichte es. Ich war mit der Schule fertig. Ich wollte anderer Leute Textinterpretationen nicht mehr hören. Ich meldete mich also und sagte: “Ich glaube, der Dichter will uns nichts Bestimmtes sagen. Er hat das einfach so geschrieben, weil es ihm so eingefallen ist.” In der Schule hätte ich damit nur empörte Blicke geerntet. Aber hier sagte einer, den ich als blitzgescheit und hochgebildet kannte: “Ja, das glaube ich auch.” Ich wäre am liebsten aufgestanden und hätte ihm die Füße geküsst. Naja, auf jeden Fall war ich sofort schwerst verliebt. Alles, was danach geschah, verschwimmt im Nebel. So geht’s im Leben.

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